Das hält doch eine Annie Wilkes nicht auf…

Es gab einmal eine Zeit in den 1980ern, da war ich ein richtiger Die-Hard-Fan von US-Autor Stephen King. Ich verschlang alles, was in der Bibliothek vorzufinden war oder dessen ich sonstwie habhaft werden konnte. Angefangen hat es mit „Brennen muss Salem“, dann „Carrie“, „Shining“, „Christine“, „Cujo“, „Der Feuerteufel“, „Der Talisman“ (zusammen mit Peter Straub), natürlich „Es“ – und auch Bücher, die er unter dem Pseudonym Richard Bachman schrieb, wie z.B. „Amok“, „Der Todesmarsch“ (da warte ich eigenlich auf eine Verfilmung) oder „Running Man – Menschenjagd“. Viele Bücher waren großartig, viele mittelmäßig und einige waren sogar ganz schlecht – aber das war egal. Wo King drauf stand, das MUSSTE einfach gut sein, selbst wenn ich es eigentlich anders empfand. Tatsächlich habe ich aber jetzt gerade beim Durchsichten einer Liste mit seinen Büchern oft feststellen müssen: „Ach, ja, das habe ich auch noch gelesen“, eben weil mich diese Bücher absolut nicht beeindrucken konnten.

Schlimmer war es mit den Verfilmungen seiner Romane. Alle schwärmten von „Carrie“ und „The Shining“, die mich aber ebenfalls nicht beeindruckten. Und ich ging zu einem Zeitpunkt ins Kino, da kamen anscheinend nur schlechte Stephen-King-Filme (wobei ich da schon einen Unterschied zwischen schlecht und trashig mache) heraus. „Kinder des Zorns“, „Cujo“, „Rhea M – Es begann ohne Vorwarnung“ (wo der Meister selbst als Regisseur tätig war), „Der Werwolf von Tarker Mills“ (wobei ich im Buch die Zeichnungen von Bernie Wrightson fantastisch fand), „The Last Stand“ (TV-Verfilmung). Ja, selbst die erste „Es“-Verfilmung (ebenfalls fürs Fernsehen – mit Stars, die ich gerne sah, wie John Ritter, Richard Thomas und Jonathan Brandis – und nicht zu vergessen mit Tim Curry als Pennywise) riss mich nicht vom Hocker. Es wurde viel verfilmt damals von Stephen King – und vieles ging in die Hose. Entweder man verfilmte ein schlechtes Buch und verfilmte es schlecht – oder man nahm ein gutes Buch und verfilmte es schlecht.

Erst „Friedhof der Kuscheltiere“ zeigte mir, dass man ein gutes Horror-Buch von Stephen King auch ausnahmsweise gut verfilmen konnte. Ja, „Stand By Me“ war vorher – und auch eine gute Verfilmung. Aber der Film basierte auf einer Coming-of-age-Kurzgeschichte mit null Horror, dafür mit Kindern, mit denen man sich identifizieren konnte.

Und dann kam „Misery“, der es sogar zu Oscar-Ehren brachte (wohlverdient: Kathy Bates als beste weibliche Hauptrolle). Da war ich vom Buch (deutscher Titel: „Sie“) begeistert – und der Film lieferte ebenfalls voll ab.

20th Century Fox

Spoilers ahead!!! Vorwarnung – ich gehe hier auf Inhalt von Buch sowie Film ein und setze voraus, dass man die Handlung kennt. Wer sich die Überraschung nicht verderben will, sollte nicht weiterlesen.

In „Misery“ geht es um den Bestseller-Autor Paul Sheldon, der nach einem Autounfall im verschneiten Colorado von Annie Wilkes gefunden und in ihr Haus gebracht wird. Glück im Unglück, sie ist eine ehemalige Krankenschwester. Unglück im Unglück, sie ist der größte Fan von Paul Sheldon – und noch dazu eine psychopathische Mörderin, die ihre Patienten tötete, ohne dass man ihr etwas nachweisen konnte. Als Annie erfährt, dass Paul ihre Lieblingsheldin Misery Chastain im letzten Band seiner Buchserie sterben lässt, rastet sie aus. Paul wird klar, dass er in diesem von der Außenwelt isolierten Haus nur überleben kann, wenn er nach ihren Regeln spielt. Und so setzt er sich an eine große, SCHWERE Royal 10 Schreibmaschine, bei der das „N“ fehlt, und schreibt an der Wiederauferstehung von Misery.

Ich möchte noch einmal betonen, dass die Schreibmaschine eine GEWICHTIGE Rolle sowohl im Buch als auch im Film spielt. Selbst die Wahl des richtigen Schreibmaschinenpapiers ist ein Thema.

Kommen wir nach dieser ausschweifenden Einleitung nun zum Grund dieses – mit einem Augenzwinkern zu verstehenden – Rants.

Vor kurzem kam ich an einem Buchgeschäft vorbei. In der Auslage waren jede Menge Bücher von Stephen King. Ich weiß jetzt nicht, ob das mit der Veröffentlichung seines aktuellen Buches „Fairy Tale“ zusammenhängt – oder ob sich der Verlag Heyne entschlossen hat, die alten Bücher neu herauszubringen. Auf jeden Fall fiel mir beim Cover von „Sie“ etwas auf.

Rodja Pavlik

Denn das da auf der Titelseite ist nämlich keine Royal 10. Im Grunde genommen ist das nicht mal eine Schreibmaschine! Das ist in Wahrheit eine aus Plastik gegossene Abscheulichkeit, die als Dekorationsgegenstand an eine Schreibmaschine erinnern soll. Nicht einmal einen Zeilenschalthebel hat die!

Ich stelle mir vor, wie Paul Sheldon im Finale die Schreibmaschine hoch hebt und sie auf Annie Wilkes Kopf niedersausen lässt – und dann die Schreibmaschine wie ein Gummiball abprallt und durch das Zimmer fliegt.

Nein, von so etwas würde sich eine Annie Wilkes nicht aufhalten lassen…

Ich frage mich, was sich die Cover-Designer von Heyne dabei gedacht haben? War das so ein kleiner Insider-Gag, dass man keine echte Schreibmaschine verwendet hat? Wurden sie auf Google nicht fündig? So ein Plastik-Dingens schaut nicht gerade vorteilhaft für einen Psychothriller aus…

Das auf dem Cover abgebildete „Modell“ erinnert mich übrigens an eine Govrland, eine Fantasie-Schreibmaschine, die Autor Richard Polt („The Typewriter Revolution“) in seinem Blog des Öfteren beschreibt.

Irgendwie schleichen sich diese Fake-Maschinen anscheinend immer mehr ins allgemeine Bewusstsein hinein. Und zwar so sehr, dass sie als echt wahrgenommen werden und z.B. als Referenzmodelle für Tätowierungen herhalten müssen, wie Richard Polt ebenfalls zu berichten weiß. Oh, was für ein Graus!

Ich hoffe wirklich, dass sich der Heyne-Verlag für eine neue Schreibmaschine als Cover-Modell entscheidet. Und bis dahin lasse ich Paul Sheldon das Ganze kommentieren…

Rodja


Edit 14.10.2022: Richard Polt hat auf seinem Blog bestätigt, dass es tatsächlich eine Govrland ist. Und er wies mich darauf hin, dass sie eher aus dünnem Blech als aus Plastik sein dürfte. Nach genauerem Betrachten der Fotos auf seiner Seite glaube ich das jetzt auch. Es würde trotzdem Annie Wilkes nicht aufhalten. Und Polt ist natürlich auch aufgefallen, dass das Geschriebene auf dem zerknüllten Papier ein Computerausdruck ist.

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