Paul Auster und seine Schreibmaschine

Es gab mal eine Zeit, da hatte ich einen kurzen, heftigen Flirt mit den Werken von Paul Auster. Auslöser waren die von ihm und Wayne Wang inszenierten Filme „Smoke“ (1995) und „Blue In The Face“ (1995).

Die Filme kamen heraus, als ich mich in einer schwierigen Phase befand, ihre Melancholie fand ich damals sehr erfrischend (Melancholie und erfrischend – Mann, muss ich damals kaputt gewesen sein) und bereichernd. Also kaufte ich mir die (Dreh)Bücher dazu und „Mr. Vertigo“. Aber wie gesagt, es war nur ein kurzer Flirt. Ich fand den Schreibstil zwar sehr ansprechend, konnte aber den oft ins Unspektakuläre verlaufenden Geschichtssträngen nicht so viel abgewinnen. Allerdings ist meine Meinung jetzt auch schon über 20 Jahre alt und Auster hätte da durchaus das Recht auf eine neuerliche Überprüfung meines Urteils.

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© Rowohlt

Auf der Suche nach Geschichten, Filmen und Liedern, die sich mit der Schreibmaschine beschäftigen, stieß ich nun auf „Die Geschichte meiner Schreibmaschine“ von Paul Auster, die erstmals 2002 in den USA veröffentlicht wurde. Es handelt sich nicht wirklich um einen Roman, mehr um eine Kurzgeschichte, vielleicht sogar nur einen Aufsatz, die Auster seiner Schreibmaschine widmete. Darin beschreibt er, wie nach einem längeren Auslandsaufenthalt 1974 in die USA zurückkehrte und feststellen musste, dass seine kleine Hermes-Schreibmaschine (die Vermutung liegt nahe, dass es eine Hermes Baby ist) stark beschädigt wurde.

Damals chronisch pleite, bekam er von einem Freund für 40 Dollar eine mechanische Olympia Reiseschreibmaschine, die seit 1962 bei dem Freund herumstand. Und seitdem – so Auster – habe er seit 1974 jedes Wort, das er geschrieben hat, auf dieser Schreibmaschine getippt. (Leider kann ich nicht genau erkennen, um welches Modell es sich da handelt – falls also jemand Hinweise geben möchte… Immer her damit!)

Einmal verfiel Auster in Panik, als sein kleiner Sohn unabsichtlich den Zeilenschalthebel abbrach (Wie das ein 2-Jähriger genau macht, frage ich mich schon – aber unglückliche Zufälle gibt es viele). Auster brachte seine Olympia voller Sorge zu einer Werkstatt, die den Hebel wieder anlötete. Seitdem ziert eine Narbe die Maschine – und macht sie dadurch auch wieder unverwechselbar.

Und so zogen die Jahre ins Land. Die Techniken für Schriftsteller änderten sich, doch Auster blieb seiner mechanischen Schreibmaschine treu, wie er in seinem Buch schreibt.

Die einzige Alternative war eine elektrische Schreibmaschine, aber ich mochte die Geräusche dieser Geräte nicht: das ständige Surren des Motors, das Summen und Klappern loser Teile, den hektisch vibrierenden Puls des Wechselstroms in meinen Fingern. Mir war die Stille meiner Olympia lieber. Sie fasste sich gut an, sie arbeitete reibungslos, sie war verlässlich. Und wenn ich nicht in die Tasten hieb, war sie stumm.

Das heißt aber nicht, dass die Olympia Auster treu blieb. Denn der Rest des Essays widmet sich auch dem Maler Sam(uel) Messer, einem Freund von Paul Auster, der für das Buch mehrere Ölgemälde, Bleistiftzeichnungen (manchmal – aber nicht zwingend – mit dem Autoren drauf) und eine Plastik von Austers Schreibmaschine lieferte. Und wie der Maler laut Auster von der Schreibmaschine immer besessener wurde.

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Es ist eine Dreiecksgeschichte, die Auster da beschreibt – und wohl auch auf der ihm fremd gehenden Schreibmaschine abgetippt hat. Obwohl ihm seine Olympia wichtig ist, gewährt er ihr diese Freiheit, schreibt mehr aus der beobachtenden Position heraus.

Die Affäre währt nun schon einige Jahre, und ich hege den Verdacht, dass die Gefühle von Anfang an auf Gegenseitigkeit beruht haben.

Ich gebe zu, mir ist das unheimlich…

Anscheinend ist Auster zufrieden, wenn seine Schreibmaschine zufrieden ist und funktioniert. Seinen Aufsatz beendet er am 2. Juli 2000. Anschließend dürfte er das Manuskript Sam Messer gegeben haben, und der Maler wählte nach dem Text Bilder aus bzw. fertigte auch welche an. Die Gemälde wirken stark expressionistisch, manche Farbkleckse sind so dick aufgetragen, dass sie allein auf dem Foto schon sehr plastisch wirken. Ich denke, wenn man vor dem Original steht, möchte man direkt die gemalten Tasten drücken.

Messer selbst hat seine Arbeit an dem Buch anscheinend am 10. September 2001 beendet, zumindest hat er seine Widmung so datiert – also am Vorabend des neuen, weltumspannenden Krieges. Ein komisches Gefühl, das einen beschleicht, wenn man das letzte Ölgemälde von Messer in dem Buch sieht. Die Olympia Schreibmaschine vor einem New-York-Panorama mit dem World Trade Center.

Irgendwie erinnert mich das an Ryan Adams Liebeserklärung „New York, New York“. Das Video dazu wurde vier Tage vor 9/11 gedreht. Wie flüchtig doch positive Stimmung sein kann…

Seit das Buch „The Story of My Typewriter“ 2002 in den USA erschien und 2005 ins Deutsche übersetzt wurde, ist natürlich viel Zeit vergangen. Jahre, in denen Paul Auster sich ja vielleicht doch noch entschließen hätte können, auf den Computer umzusteigen. Dem dürfte aber nicht so sein, denn im Februar 2015 erzählte er in einem Interview der dpa (Deutsche Presseagentur):

„Ich bin einer der wenigen Menschen auf der Welt, der sich von all dem fernhält. Ich habe keinen Computer und kein Handy. Ich habe mich einfach irgendwann entschieden, dass ich diese Sachen nicht machen muss – E-Mail zum Beispiel. Ich schreibe per Hand und tippe es dann mit einer Schreibmaschine ab, die benutze ich immer und es funktioniert. Die Schreibmaschine macht meine Hände stark, vom Computer bekomme ich Schmerzen.“

Rodja

6 Gedanken zu „Paul Auster und seine Schreibmaschine

  1. Sehr schöner und interessanter Beitrag. Danke dafür! 🙂

    Zwei Anmerkungen von meiner Seite:
    a) Paul Auster nutzt eine Olympia SM9 der ersten Baureihe. Es gibt ein paar Fotos von ihm, die ihn mit seiner Schreibmaschine zeigen.
    b) Paul Auster hat einmal in einem Interview (https://www.youtube.com/watch?v=wuEpBEPTxUU ab Min. 6:18 geht es um die Schreibmaschine, bei 7:36 dann: „But I don’t compose on the typewriter“) erwähnt, er schreibe den kreativen Teil, also den first draft, zunächst mit einem Stift per Hand und erst die zweite Version dann auf der Schreibmaschine.
    Genau den gleichen Prozess beschrieb übrigens auch Günter Grass einmal: erst von Hand, dann auf der Olivetti 22.

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